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Rolf Wilms im Gespräch mit Alfred Preussner, Ehrenpräsident des deutschen Friseurhandwerks und langjährigem Vizepräsident des deutschen Handwerks.

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Unüberhörbar sind kritische Stimmen, die unzufrieden mit der Arbeit von Friseur- Verbänden und Innungen sind. So fordern private Vereinigungen im Friseurhandwerk mehr Mitsprache und Einfluss bei wichtigen Entscheidungen in berufspolitischen Fragen, wie Tarifgestaltung, Aus- und Weiterbildung sowie Öffentlichkeitsarbeit. Die latente Unzufriedenheit wird durch einen dramatischen Mitgliederschwund deutlich. Etwas mehr als 19000 Friseurunternehmen sind nur noch in Innungen des Friseurhandwerks der Bundesrepublik Deutschland vertreten. Verbände und Innungen im Friseurhandwerk laufen in Gefahr in der Bedeutungslosigkeit zu versinken.

Rolf Wilms und Alfred Preussner

Rolf Wilms: Herr Preussner brauchen wir Verbände?

Alfred Preussner: Zu einer funktionierenden Demokratie gehören einfach auch die Verbände. Diese haben die Aufgabe, ja die Pflicht, die in der Organisation auf demokratischer Basis formulierten Ansprüche eines Berufsstandes mit Nachdruck „nach oben“ zu vertreten. Das gilt übrigens auch auf Kreis- und Landesebene.

Rolf Wilms: Warum leiden Friseurverbände seit Jahren an einem dramatischen Mitgliederschwund?

Alfred Preussner: Darunter leidet allerdings nicht nur der Friseurverband, sondern auch die meisten Vereinigungen. Die Menschen haben sich in ihre 4 Wände zurückgezogen und überlassen anderen die unterschiedlichsten Engagements. Nehmen Sie die Politik. Die Mitgliederzahlen in den Parteien sind verschwindend gering, es sind nur wenige Prozent der Bevölkerung, die hier mitwirken. Auch die Zahl der Nichtwähler nimmt ständig zu, aber nicht allein weil diese politischen Überdruss empfinden, sondern nachweislich erkennt die Mehrzahl nicht den Wert einer Wahlentscheidung.

Rolf Wilms: Wenn also die politische Vertretung des Berufes, des Handwerks, allgemein der Verband ist, dann folgt doch aus den sinkenden Mitgliederzahlen auch ein Verlust an politischem Einfluss. Korrespondiert Lobbyarbeit nicht auch immer mit dem Organisationsgrad eines Verbandes?

Alfred Preussner: Lobbyarbeit – in diesem Falle sind Kontaktgespräche gemeint - ist gerade in einer Demokratie von entscheidender Bedeutung. Das gilt für die Industrie wie für Verbände. Dazu gehören erfahrene Personen die auch respektiert werden und in der Lage sind, die für die Gesellschaft wichtigen Vorteile eines Berufsstandes zu vermitteln. Je mehr Mitglieder der „Lobbyist“ vertritt, desto eindrucksvoller können Entscheidungen positiv vorprogrammiert werden.

Rolf Wilms: Sie haben in einer Ihrer Publikationen folgende Formulierung gefunden: „Die Voraussetzung zu einem erfolgreichen, gleichermaßen von Bürgern und Politikern anerkannten Beruf sind qualifizierte und zukunftsorientierte Ehrenamtsträger, welche die Initiative ergreifen können und politisch handlungsfähig sind“. Gibt es ein Defizit an Persönlichkeiten in Verbänden und wenn ja, warum ist das so?

Alfred Preussner: Natürlich gibt es auch bei uns in der Organisation hervorragende Persönlichkeiten. Es könnten allerdings noch mehr sein. Wenn Innungen austrocknen, dann steht logischerweise auch weniger Qualität zur Verfügung um die wichtigen Ämter, auch an der Basis, zu besetzen. Es kann manchmal vielleicht gewählt, aber leider nicht ausgewählt werden. Verbände können ja „ihren Nektar“ für weitergehende Aufgaben nur aus den Innungen ziehen. Der Seiteneinstieg ist nicht möglich.

Rolf Wilms: Wie können private Vereinigungen Innungen und Verbände unterstützen, um berechtigten Anliegen wirksamer durchzusetzen?

Alfred Preussner: Private Organisationen sind für ihre Mitglieder z.B. für die Weiterbildung und in der Pflege von Freundschaften ein wunderbares und lohnendes Engagement. In politischer Hinsicht sind diese Vereinigungen allerdings kaum von Bedeutung. Die politische und anerkannte Vertretung des Berufes ist der Verband. Und hier ist nun mal die Keimzelle, die Innung. Zufrieden wäre ich, wenn die Vorstände der privaten Organisationen ihre Mitglieder dringlichst aufforderten, sich zweigleisig zu engagieren. Ich weiß, dass es dort eine Reihe von Mitgliedern gibt, die sich auch in der Innung verantwortlich einsetzen. Aber das reicht nicht. Jede zusätzliche Stärkung der Basis hilft mit, auch die Interessen anspruchsvoller Kollegen zu befriedigen. Vielleicht nur auf die engagierten Kollegen einer Innung von Oben herab zu sehen, oder zu kritisieren, das wäre nicht gerade die feine Art.

Rolf Wilms: Wie stehen Sie zum Abschluss der bundesweiten Mindestlohnregelung?

Alfred Preussner: Ich bin auch gegen einen gesetzlich geregelten Mindestlohn und befürworte grundsätzlich die tarifvertraglichen Vereinbarungen. Ich finde auch, dass es eine kluge Entscheidung der Verbände war, den angestrebten allgemeinverbindlichen Tariflohn durch den Zentralverband koordinieren zu lassen. Dass dieser dann fertig gebracht hat, Filialisten, wie Vereinigungen mit ins Boot zu holen, dazu kann man wirklich gratulieren. Aber nur so kann eine Chance entstehen, trotz der schwachen mitgliederarmen Verbände, evtl. eine Allgemeinverbindlichkeit auf Bundesebene zu erreichen. Wichtigstes Fundament zu einem Erfolg sind natürlich die Verbände, wie beispielsweise NRW, die bereits die Allgemeinverbindlich, in gleicher Höhe, erreicht haben.

Rolf Wilms: Ist hundertprozentig sicher, dass auch Nichtinnungsmitglieder der Mindestlohnregelung unterliegen?

Alfred Preussner: Wenn die Allgemeinverbindlichkeit erklärt ist, dann müssen auch die Nichtmitglieder den vorgegebenen Mindestlohn zahlen. Das wäre ja sonst ein Ding, wenn die tausenden, außerhalb der Organisation stehenden Billigbetriebe, vielfach berufsschädigend, so weiter wurschteln könnten. Sicher hatten wir immer schon irgendwelche Probleme mit Niedrigpreisbetrieben. Aber die Änderung der Handwerksordnung, im Jahr 2004, wurde für unsere Branche zu einem furchtbaren „Tiefschlag“. Für das Friseurhandwerk als Ganzes, ist diese Entscheidung zur wirtschaftlichen und somit Image vernichtenden Katastrophe geworden. Hatten wir vor 2004 noch gut 50.000 Betriebe, so sind es heute schon um die 80.000. Und das bei einer Halbierung der Besuchshäufigkeit. In den 90ger Jahren ging die Bevölkerung noch durchschnittlich, pro Jahr, 12 Mal zum Friseur – in der ehemaligen DDR bis zum Zusammenschluss sogar 30 Mal – heute sind es im Schnitt noch um 5 - 6 Besuche.

Rolf Wilms: Höhere Löhne werden sicher durch höhere Preise ausgeglichen. Konsequenz in manchen Regionen wird Schwarzarbeit noch attraktiver und Minibetriebe schießen noch stärker wie Pilze aus der Erde. Sehen Sie diese Gefahr?

Alfred Preussner: Die Frage ist doch zunächst, was wir wollen? Beim Scheitern des tariflichen Vorhabens wird es mit dem Friseurhandwerk weiter bergab gehen. Ich weiß auch, dass eine Allgemeinverbindlichkeit, besonders kompliziert in den östlichen Grenzgebieten wird. Mit Betriebsschließungen, Entlassungen und logischerweise auch mit mehr Schwarzarbeit muss man rechnen. Andererseits wissen wir auch, dass sich viele Betriebe an die soziale Aufstockung ihrer Lohnzahlungen gewöhnt haben. Das ist natürlich auch keine Werbung für einen Beruf. Ein Handwerk ist letztlich nur erlernenswert, wenn auch die wirtschaftlichen Voraussetzungen stimmen. Das fängt heute schon mit der Ausbildungsvergütung an. Wenn man aber permanent, in allen Medien, als ein Hungerleiderberuf dargestellt wird, die qualitativ hochwertigen Existenzen dabei gerne übersieht und nur auf die Kummerbetriebe abhebt, dann ist das für die Branche vernichtend.

Rolf Wilms: Nennen Sie die aus Ihrer Sicht wichtigsten Maßnahmen, die zu einer Stärkung von Verbänden und Innungen führen könnten.

Alfred Preussner: Eine sowohl die Betriebsinhaber als auch die Bevölkerung überzeugende Verbands- und auch Innungspolitik. Hier besonders im Hinblick auf eine zeitgerechte, überzeugende Lohn/ Preis-Schiene. Die Verdeutlichung der damit verbundenen Konsequenzen. Die noch stärkere Einbeziehung aller fortschrittlichen Kollegen. Ob Jung oder Älter. Nicht zuletzt auch deshalb, um das Prüfungsniveau und die fachliche Öffentlichkeitsarbeit zu sichern. Innungen welche diesen Anforderungen nicht mehr genügen und „zu schlapp“ sind um z. B. Modepräsentationen durchzuführen, haben keine Existenzberechtigung mehr. Die erfolgreichste und sogar preiswerteste Werbung für die Branche, bleibt die Mode. Ohne sichtbares, fachliches Engagement einer Innung, gilt diese für die Berufsangehörigen schon als gestorben. Letztlich will man sehen wofür man seinen Beitrag bezahlt, oder zahlen soll. Und eins ist noch von entscheidender Bedeutung - nämlich die Vermittlung des notwendigen Hintergrundwissens für den Obermeister, in handwerks-, verbandspolitischer Hinsicht. Diese sollen doch die kompetenten Vermittler der Politik „von Oben“ sein. Eine Vernachlässigung, bzw. die fehlende Förderung dieser wichtigen Ehrenamtsträger ist nicht nur von großem Nachteil, sondern lebenswichtig für den Fortbestand einer Innung. Grundsätzlich gilt auch hier – „Nur wer ein ausreichendes Hintergrundwissen besitzt, kann auch überzeugen!"

Von Rolf Wilms!


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